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Interview zur Homezone-Weltpremiere im KVV

Pünktlich zum Fahrplanwechsel am Sonntag, den 12. Dezember 2021, startet mit der KVV.homezone im Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) ein weltweit einzigartiges neues E-Tarifkonzept im öffentlichen Verkehr. Das Prinzip ist bestechend einfach und zugleich flexibel: Die Fahrgäste bestimmen ihr persönliches Tarifgebiet selbst, indem sie auf ihrem Smartphone oder am Computer einen beliebig großen Kreis (die Homezone) festlegen – völlig unabhängig von bestehenden Tarifwabengrenzen. civity hat die Homezone im Rahmen eines Tarifprojekts für den KVV erfunden und umsetzungsreif entwickelt.

In dieser persönlichen KVV.homezone können die Fahrgäste den ÖPNV dann beliebig oft nutzen, so wie bei klassischen Zeitkarten, ein Ein- und Auschecken bei jeder Fahrt ist nicht erforderlich. Der Preis für die auf 28 Tage festgelegte Nutzungsdauer wird in Echtzeit ermittelt: Er besteht aus drei Komponenten. Einem Grundpreis, Größe auf Basis des jeweiligen Durchmessers der Homezone und der Quantität des darin bestehenden ÖPNV-Angebots. Für Fahrten außerhalb der eigenen KVV.homezone lässt sich der neue E-Tarif bequem mit dem zeitgleich startenden neuen elektronischen Entfernungstarif (KVV.luftlinie) kombinieren.

Zum Start des E-Tarif-Doppelpacks haben wir ein Gespräch mit KVV-Geschäftsführer Dr. Alexander Pischon und Stefan Weigele, dem projektverantwortlichen Partner bei civity, geführt.

Herr Dr. Pischon, am 12. Dezember starten Sie gleich zwei neue E-Tarifangebote im KVV. Mit der KVV.homezone betreten Sie Neuland und führen erstmals im öffentlichen Verkehr einen echten E-Tarif für Zeitkartenkund/-innen ein. Was versprechen Sie sich davon?

Dr. Alexander Pischon: Kurz gesagt: glückliche Kundinnen und Kunden und insgesamt mehr Menschen, die den ÖPNV nutzen. Homezone und Luftlinientarif bieten unseren Fahrgästen genau das, wovon die Branche schon lange spricht: eine sehr einfache und bequeme Art, eine Fahrkarte auch ohne Tarifkenntnisse zu kaufen. Die individuellen Homezones überwinden dabei die bisweilen als ungerecht empfundenen Preissprünge an den bisherigen starren Tarifgrenzen. Gleichzeitig wird das Tarifsystem auch insgesamt viel leistungsgerechter, weil wir in die Preisbildung miteinbeziehen, wie leistungsstark das ÖPNV-Angebot in der gewählten Homezone ist – in Bezug darauf wie häufig dort Busse und Bahnen fahren.

Ich finde, die KVV.homezone für Vielfahrende und die KVV.luftlinie für Gelegenheitskundinnen und -kunden sind ein ideales Gespann. Endlich haben wir für das Gros der Fahrgäste ein elektronisches Ticket im Angebot. Das baut bestehende Zugangsbarrieren zum ÖPNV ab und bietet ein enormes Potenzial für eine kundenorientierte Preisgestaltung.

Herr Weigele, wie kam es denn überhaupt zur Idee der Homezone?

Stefan Weigele: Nach einer KVV-Aufsichtsratssitzung im Januar 2019 haben wir uns noch mit Herrn Dr. Pischon unterhalten. Er musste im Termin das Ende der ticket2Go-App verkünden und benötigte dringend eine Nachfolgelösung für einen Check-in/Check-out-basierten Entfernungstarif. Wir signalisierten ihm, dass wir den KVV in dieser Sache gerne unterstützen würden und fügten vielleicht etwas nassforsch hinzu, dass es doch eigentlich viel relevanter sei, endlich einmal „einen echten E-Tarif für Zeitkartenkunden“ zu entwickeln.

Das ließ sich Herr Dr. Pischon nicht zweimal sagen und spielte den Ball direkt an uns zurück: mit einem „Na dann erfindet doch mal was!“ verließ er den Sitzungssaal. Ein paar Tage später kam meine Kollegin Anna Fechner auf unser internes Projektteam zu und meinte „Ich habe da eine Idee. Wie wäre es, wenn Kunden den Gültigkeitsbereich ihrer ÖPNV-Zeitkarte individuell festlegen können? Tarifliche Ungerechtigkeiten durch Preissprünge an starren Wabengrenzen und Zugangsbarrieren durch komplexe Wabenpläne wären Geschichte.“

Damit war die KVV.homezone geboren. Mit dieser Idee und einigen Konzeptfolien im Gepäck machten wir uns aufgeregt auf den Weg nach Karlsruhe und pitchten die Homezone bei Herrn Dr. Pischon und seinen Tarifexpert/-innen.

Dr. Alexander Pischon: Und damit hatten sie mich. Mir gefiel die bestechend einfache Idee sofort – am liebsten hätte ich direkt mit der Umsetzung begonnen.

Stefan Weigele: Dafür mussten wir aber erst einmal den KVV-Aufsichtsrat für das Konzept begeistern, denn eine Homezone war bisher ja gar nicht im Wirtschaftsplan vorgesehen. Aber auch dies gelang: Nach einer ausführlichen Vorstellung durch unser Team beschloss der Aufsichtsrat einstimmig, in eine Machbarkeitsstudie einzusteigen.

Herr Dr. Pischon: Was ist aus Ihrer Sicht das Interessante am Homezone-Tarif?

Dr. Alexander Pischon: Mich haben die Einfachheit und die Flexibilität der KVV.homezone überzeugt. Mit unserer App KVV.regiomove ist es einfach, eine Homezone anzulegen oder anzupassen. Wabenpläne und Tarifgrenzen werden für die Fahrgäste bei diesem Produkt einmal vollkommen irrelevant. Fahrgäste legen Ihren Mobilitätskreis selbst fest und bezahlen genau für das, was sie auswählen.

Ich bin ja bekanntermaßen auch ein Unterstützer von Mobility Inside. An der KVV.homezone finde ich daher auch charmant, dass sich in deren Grundlogik auch weitere Mobilitätsangebote wie unser KVV.nextbike oder E-Scooter integrieren lassen. Die KVV.homezone als „Rundum-sorglos-Mobilitätstarif“ sozusagen. Das ist die Zukunft!

Stefan Weigele: Ich denke, die Kombination von Homezone und Luftlinientarif auf Basis von Check-in/Check-out bietet zudem ein enormes Potenzial für eine maximal kundenorientierte Preisgestaltung. In Zukunft könnte das System den Fahrgästen zum Beispiel eine gezielte Erweiterung ihrer Homezone vorschlagen, wenn es feststellt, dass diese regelmäßig Ziele außerhalb ihres Homezone-Radius im Luftlinientarif ansteuern.

Herr Dr. Pischon: die KVV.homezone startet im ersten Schritt noch nicht mit allen Funktionalitäten. Warum, und welche Features kommen als nächstes?

Dr. Alexander Pischon: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, mit der KVV.homezone möglichst schnell zu starten, auch wenn dann noch nicht alle denkbaren Features vollständig umgesetzt sind. Vom ersten Pitch von civity bis zum Start von zwei neuen Tarifprodukten in einer komplett erneuerten bzw. ertüchtigten Regiomove-App sind nur rund 2,5 Jahre vergangen. Da haben sich alle unsere Mitarbeiter/-innen, Dienstleister/-innen, aber auch unsere Gremien mächtig ins Zeug gelegt. Parallel dazu hatten bzw. haben wir ja auch noch eine Tunneleröffnung und mehrere Coronawellen zu stemmen. Daher möchte ich meinem ganzen Team an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön aussprechen.

Für das Jahr 2022 haben wir uns u. a. eine stärkere Flexibilisierung der zeitlichen Gültigkeit der Homezone vorgenommen. So wäre beispielsweise eine KVV.homezone spannend, die nur an bestimmten Wochentagen gilt. Damit würden wir der neuen Arbeitsrealität vieler Pendlerinnen und Pendler entgegen kommen, die nun vermehrt im Home-Office oder zum Beispiel in Teilzeit arbeiten. Wir werden uns außerdem weitere Gespräche mit unseren Nachbarverbünden führen. Dabei kommt uns entgegen, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg ein spezielles Förderprogramm für flexible Zeitkarten im ÖPNV aufgelegt hat. Aus meiner Sicht ist die KVV.homezone die perfekte Antwort auf das flexiblere Mobilitätsverhalten der Bürger und passt daher hervorragend zu den Zielen des Landes.

Herr Weigele, was möchten Sie Verbünden und Verkehrsunternehmen noch mit auf den Weg geben, die sich auch für die Einführung eines Homezone-Tarifs interessieren?

Stefan Weigele: Grundsätzlich eignet sich die Homezone für alle Verkehrsverbünde. Der von uns entwickelte Preisalgorithmus und der Rechenkern unseres Projektpartners Zweidenker lassen sich für alle bestehenden Tarif- und Ticketingsysteme sowie ÖPNV-Angebotsstrukturen adaptieren. Wie bei der Reform oder Ergänzung bestehender Tarifsysteme, muss dabei gleich zu Beginn mit den Verantwortlichen geklärt werden, wie groß die Veränderungsbereitschaft vor Ort ist und wie stark und über welchen Zeitraum sich das bestehende Tarifsystem durch die Homezone und den Luftlinientarif verändern soll.

Und Sie Herr Dr. Pischon?

Dr. Alexander Pischon: Sprechen Sie uns einfach an, wir freuen uns, unsere Erfahrungen und Vorarbeiten mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Verkehrsverbünden und Verkehrsunternehmen zu teilen. Wir haben schließlich alle dasselbe Ziel: Mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen und damit einen elementaren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Herr Dr. Pischon , Herr Weigele, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für die Einführung der neuen E-Tarife.

Informationen zu KVV.homezone und KVV.luftlinie finden Sie auf der Webseite des KVV. Weitere Informationen zum Konzept der Homezone erhalten Sie auf unserer Homezone-Produktseite. Gerne erläutern wir Ihnen das Konzept und diskutieren die Übertragbarkeit auf Ihre Region. Sprechen Sie uns gerne an!