Der „Wiener Weg“ – Mehr als eine Jahreskarte
Im Zuge des VBBimPuls 2019 berichtete Friedemann Brockmeyer von den Erfahrungen welche civity bei der Begleitung der Einführung des 365€-Tickets in Wien gesammelt hat. Den Gastbeitrag für das VBB Magazin finden Sie im Folgenden. Das gesamte Magazin, mit weiteren spannenden Inhalten können Sie sich weiter unten kostenfrei herunterladen.
Hier gelangen Sie direkt zur Studie „Das beste Angebot ist nicht der Preis – Der „Wiener Weg“: weit mehr als die 365-Euro-Jahreskarte“.
Der „Wiener Weg“ ist ganzheitlich betrachtet viel mehr als die in der deutschen Öffentlichkeit oft anzutreffende unzulässige Verkürzung auf die 365-Euro-Jahreskarte. Wien steht für ein hervorragendes Angebot und ist auch führend in der Verknüpfung von ganzheitlicher öffentlich nutzbarer Mobilität.
Wien zeigt aber auch, dass mit einer Tarifwende noch lange keine Verkehrswende ermöglicht wird. Um den Erfolg Wiens zu verstehen, müssen wir uns die drei Ebenen des urbanen Mobilitätsökosystems in Wien genauer anschauen:
- Stadtstruktur,
- Transportinfrastruktur und
- die Verkehrspolitik,
die gemeinsam letztendlich das Mobilitätsverhaltender Wienerinnen und Wiener bestimmen. Alle Ebenen bedingen sich gegenseitig und sind in Wien außerordentlich ÖPNV-affin!
Eine nachhaltige Verkehrswende braucht eine systematische Regulierung der privaten innerstädtischen Pkw-Nutzung. Vor allem, dass der öffentliche Verkehr (ÖV) in Wien schon seit den 1970er-Jahren mit dem Beginn des U-Bahn-Baus (ungefähr 70 Jahre nach Berlin) absolute Priorität bei den Wienerinnen und Wienern, der Politik und damit auch im öffentlichen Haushalt besitzt, ist entscheidend für den Erfolg.
Der wirkliche Durchbruch des Wiener öffentlichen Verkehrs begann ungefähr ein Jahrzehnt vor der Einführung der 365-Euro-Jahreskarte. Seit der Einführung der Jahreskarte hat der Wiener öffentliche Verkehr seinen Marktanteil eigentlich nur noch gehalten.
Von Wien können deutsche Städte drei Dinge lernen.
- Erstens, dass eine hohe Siedlungsdichte die Nutzung des öffentlichen Verkehrs befördert und es wesentlich einfacher und günstiger macht, diesen öffentlichen Verkehr bereitzustellen.
- Zweitens, dass sich kontinuierliche Investitionen in ein hervorragendes Angebot lohnen und von Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden.
- Drittens, dass es für eine nachhaltige Verkehrswende einer systematischen Regulierung der privaten innerstädtischen PKW-Nutzungsbedarfs.
Dynamisch wachsende Städte wie Berlin sollten sich aus verkehrspolitischer Perspektive daher darauf konzentrieren, dass die urbane Dichte weiter steigt und dass das ÖPNV-Angebot in den bereits dichten und den noch zu verdichtenden Räumen stetig ausgebaut wird. Das bedeutet vor allem bei etwaigen Flächenkonflikten zwischen ÖPNV und MIV (Motorisierter Individualverkehr), eine klare Priorität für den ÖPNV. „Halbgare Busspuren“, die nur dort existieren, wo eh genug Platz ist, oder die auch noch als Ersatzradweg benutzt werden, sind dagegen nicht zielführend.
Die Parkraumpolitik besitzt eine verkehrssteuernde Wirkung und trägt maßgeblich zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur bei. In Berlin brauchen wir eine klare Priorisierung des ÖPNV im Straßenraum und eine Regulierung der privaten Pkw-Nutzung zum Beispiel durch die Parkraumbewirtschaftung nach Wiener Vorbild. Die Parkraumpolitik Wiens unterscheidet sich signifikant von der in Berlin. Sie ist ein wesentlicher Stellhebel des „Wiener Wegs“, da sie eine verkehrssteuernde Wirkung besitzt, maßgeblich zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur beiträgt und zudem eine klare verkehrspolitische Signalwirkung entfaltet. Im Zuge der Tarifanpassung im Jahr 2012 wurde damit begonnen, die Parkraumbewirtschaftung noch einmal deutlich zu intensivieren. Bis heute werden regelmäßig neue Stadtbezirke in die Bewirtschaftung integriert, Gebühren erhöht sowie der Kontrolldruck weiter gesteigert. Die damit erzielten Einnahmen übertreffen die von Berlin um ein Vielfaches und tragen ganz wesentlich zur Finanzierung eines attraktiven ÖPNV bei.
Alternative Finanzierungsinstrumente für den ÖPNV sind dringend notwendig. Aufgrund steigender Aufwände getrieben durch Personalknappheit und der Umstellung auf alternative Antriebe bei gleichzeitig nicht mehr vorhandenem politischen Spielraum zur Erhöhung von Tarifen sind alternative Finanzierungsinstrumente für den ÖPNV dringend notwendig. Wien hat hier neben der Parkraumbewirtschaftung mit der sogenannten „Dienstgeberabgabe“ die Wirtschaft an der Finanzierung des ÖPNV beteiligt. Das ist auch gerecht, da die Gesamtsystemkosten durch die für die Morgenspitze benötigte Peak-Kapazität determiniert werden. Die Zahlungsbereitschaft der Wiener Wirtschaft ist vorhanden, da der ÖPNV als Standortvorteil angesehen wird.
Die Leistungsfähigkeit und Erschließungsdichte des ÖPNV ist einer der zentralen Gründe, warum Wien ein Serienabonnement auf den Titel „lebenswerteste Stadt der Welt“ erhält.