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Tracking- und Mobilfunkdaten im Einsatz gegen die Corona-Pandemie

Daten über das Bewegungsverhalten der Bevölkerung bekamen in den vergangenen Wochen eine zentrale Bedeutung im Kampf gegen die Pandemie. Wir stellen diese Daten vor und ordnen sie gegenüber der aufkommenden Kritik von Datenschützern ein.

Bewegungsdaten in Zeiten des Stillstands

„Social Distancing“ ist das traurige Schlagwort der letzten Wochen und wird uns wohl auch noch auf absehbare Zeit begleiten. Die räumliche Distanzierung und die Vermeidung von Reisen sind die Kernmaßnahmen, um die Effekte der Pandemie des Covid-19-Virus einzudämmen. Sie kann als verpflichtendes Dekret formuliert sein oder als Aufforderung, nach der sich die Bürger eigenverantwortlich richten. Vor allem in der letzteren Form stellt sich die Frage, wie effektiv die Maßnahmen wirklich sind. Eine schnelle und genaue Abschätzung der noch vorhandenen Kontakte, aber auch die Auswertung der großen Bewegungsmuster innerhalb und zwischen Städten, kann viele Menschenleben retten.

Mobilitätsdaten- und Trackingdienstleister bieten aktuell ihre Daten- und Softwarelösungen an. Ziel ist dabei entweder die Erfassung der aktuellen Intensität des gesellschaftlichen Austauschs oder die rückwirkende Identifizierung möglicher Kontaktpunkte bei positiv getesteten Betroffenen.

Insbesondere die Bereitstellung von Mobilfunkdaten an das Robert-Koch-Institut (RKI) wurde in verschiedenen Presseberichten teils kritisch diskutiert. Auch Datenschützer haben in diesem Zusammenhang Bedenken geäußert, und schnell machten Szenarien einer digitalen Überwachung in die Runde. Die Sorge besteht, jetzt in Krisenzeiten einen Präzedenzfall für die künftige Datennutzung durch den Staat und zugehörige Institutionen zu schaffen.

Woher kommen Bewegungsdaten?

Da immer wieder irreführende Einschätzungen zu Bewegungsdaten und auch zu deren Potential geäußert wurden, möchten wir hier eine Zusammenstellung von Bewegungsdaten darstellen, welche für den Einsatz gegen Covid-19 genutzt werden könnten:

1. Mobilfunkdaten: Durch „Events“ werden über Mobilfunkmasten Daten erzeugt, die zur Auswertung von Bewegungsprofilen und -strömen innerhalb von Städten oder zwischen größeren räumlichen Einheiten genutzt werden. Events können das An- und Abmelden von Endgeräten, das Wechseln der Mobilfunkmasten, ein Telefonat, ein SMS-Versand oder die Nutzung des mobilen Internets sein.

Die Genauigkeit ist hierbei abhängig von der Funkzellengröße und beträgt zwischen wenigen hundert Metern bis hin zu mehreren Kilometern. Diese Datensätze laufen bei den Mobilfunkanbietern zusammen und sind unabhängig von der aktiven Mitwirkung der Mobilfunknutzer.

2. Beim Smartphone-Tracking werden die Positionsdaten auf Ebene der Handys selbst erfasst. Ein Tracking dieser Daten setzt die Installation entsprechender Apps durch die Nutzer voraus.
Beispielsweise fallen entsprechende Daten oft bei der Nutzung von Karten- und Routingdiensten sowie bei „Fitness-Trackern“ an.

Die Betriebssysteme zeigen bei der Installation an, dass eine App auf den Standortdienst des Handys zugreifen möchte. Technisch übernehmen die in den Handys eingebauten Sensoren (GPS, W-LAN, Bluetooth) die Positionsbestimmung. Tracking-Daten sind daher räumlich und zeitlich viel detaillierter als Mobilfunkdaten und können so Auskunft über die genauen Routen und kleinräumigen Aufenthaltsorte der Nutzer geben.

3. Es werden derzeit auch Ansätze diskutiert, bei denen spezielle Apps via Bluetooth lediglich eine ID aussenden, welche Apps auf umgebenden Geräten speichern. Gibt eine der teilnehmenden Personen im Nachhinein die Information „Corona-positiv“ an das System zurück, so werden rückwirkend alle potenziellen Kontaktpersonen informiert. Entsprechende Systeme kommen somit ohne die Speicherung des genauen Standorts aus.

4. Wo überwiegend mit dem Auto gefahren wird, können Floating Car Data (FCD) ein gutes Bild der Bewegungsmuster ergeben. Zur Erzeugung von FCD wird auf die Satellitenortung (z. B. GPS oder Galileo) des Fahrzeugs zugegriffen. Hierzu leiten je nach Anbieter die Navigationssysteme der Wagen die Daten über eine Mobilfunkverbindung aus, oder Flottenbetreiber z. B. Logistikdienstleister oder Taxiunternehmen stellen Daten eigener Flottenmanagementsysteme bereit. Auch hier können entsprechende Daten zu Bewegungsströmen aggregiert werden. Die räumliche und zeitliche Auflösung ist hierbei ähnlich gelagert wie beim Smartphone-Tracking.

5. Für eine Auswertung von Bewegungsmustern im ÖPNV, der wegen seiner angeblichen Rolle als „Virenschleuder“ in den letzten Wochen leider mit einer sehr kritischen Presse leben musste, können Anfragen an die Elektronischen Fahrplanauskunftssysteme (EFA) eine hilfreiche Ergänzung darstellen. Hieraus lassen sich Aussagen über konkrete Quell- und Zielbeziehungen treffen. Auch diese Datensätze lassen sich inzwischen gut auswerten und erlauben Rückschlüsse auf räumliche und zeitliche Bewegungsmuster der Bevölkerung.

Potential und Grenzen von Mobilfunkdaten

In den Medien wurden die Mobilfunkdaten in den letzten Wochen oftmals mit Smartphone-Trackingdaten gleichgesetzt. Beide unterscheiden sich jedoch ganz grundlegend voneinander: Mobilfunkdaten entstehen an den Mobilfunkmasten und sind somit räumlich nur so feinmaschig (und eben oft löchrig) wie das Mobilfunknetz selbst. Daten aus dem Smartphone-Tracking entstehen hingegen direkt am Endgerät, erreichen daher eine signifikant höhere Ortungsqualität und sind somit aus Sicht des Datenschutzes auch problematischer.

Der Umgang von Mobilfunkdaten ist dabei eine Wissenschaft für sich. Zusammen mit Telefónica, der Fraunhofer IAIS sowie MotionTag erforscht civity im Projekt xMND die Anwendungsmöglichkeit dieser Daten für den ÖV. Abdeckung und Ausrichtung der Masten verändern sich fortlaufend und dynamisch. Die Hochrechnung des Datensatzes von der Grundgesamtheit (die jeweiligen Vertragskunden der Mobilfunkanbieter) auf die Gesamtbevölkerung ist eine differenzierte Berechnung, da sie Daten zum Marktanteil der Anbieter nach Bevölkerungsgruppe und Regionen einbindet. Zudem verfügen die beiden in Deutschland aktiven Dienstleister über eine ausgeklügelte Anonymisierung der Daten: Datenpunkte liegen immer in Mindestgrößen von fünf Beobachtungen vor, d. h. unter fünf Bewegungen mit gleichen Attributen werden pro Quell-Ziel-Relation keine Datensätze ausgespielt.

Zur Beurteilung der Einhaltung von Ausgangs- und Reisebeschränkungen können die Standarddaten der Anbieter eine gute Bewertung liefern. So könnte beispielsweise ausgesagt werden, ob das Postleitzahlgebiet 10997, in dem der Görlitzer Park in Berlin liegt, in den vergangenen Tagen ein gleichbleibendes Aufkommen aufwies oder weniger Personen aus anderen Postleitzahlengebieten sich in dieses bewegt haben. Entsprechende Auswertungen finden inzwischen auch bei der Planung von Verkehrsangeboten Anwendung und können Institutionen wie das RKI bei der Bewertung der Lage unterstützen.

Eine Auswertung personenbezogener Trajektorien würde dagegen, selbst wenn Anbieter den Behörden hier nichtanonymisierte Daten bereitstellen würden, aus methodischer Sicht keinen Mehrwert bieten. Das liegt daran, dass die Abdeckung der Mobilfunkmasten zu grob für eine genaue Bestimmung der direkten Interaktionen auf Einzelpersonenebene ist. Zudem oszillieren die Trajektorien oftmals zwischen den Mobilfunkmasten.

Potential anderer Bewegungsdaten

Daten aus dem Smartphone-Tracking können hier die genaueren Positionsdaten liefern, wobei bei diesem Vorgehen immer das informierte Einverständnis der Nutzer Grundvoraussetzung wäre. Denkbar wäre es, dass einzelne betroffene Personen ihre Google-History-Daten herunterladen und für die Auswertung bereitstellen, so wie der Kartendienstleister Ubilabs es im eigenen Blog beschrieben hat. Bei solchen Anwendungen ist letztendlich auch das Echtzeittracking technisch möglich.

Ähnlich wie Mobilfunkdaten kann man auch FCD als standardisiertes Datenprodukt oder über Dashboards beschaffen. Die Auswertung dieser Daten kann für ländlichere Region bis hin zu Mittelstädten aktuell sinnvoll sein, um Bewegungsmuster zu identifizieren und Ausbreitungspotentiale zu quantifizieren. In Großstädten sinkt die Aussagekraft allerdings aufgrund des sinkenden Modal-Split-Anteils von Privatautos.

Fazit

Die technischen Lösungen für unterstützende Auswertungen zu Eindämmung der Covid-19-Pandemie liegen bereits zum Teil vor, zum Teil entstehen gerade auch neue – aus altruistischen Motiven aber sicherlich auch mit der Beimischung einer Prise Marketing. Insbesondere die Nutzung der an das RKI übergebenden Mobilfunkdaten stellt, sofern die bisher kommunizierten Datenübergaben korrekt sind, keinen Widerspruch zur Datenschutz-Grundverordnung dar – erfordert aber gleichzeitig eine gewisse Datenkompetenz bei den anwendenden Stellen.
Die kommenden Wochen werden zeigen, inwieweit sich weitere Lösungen etablieren und ob diese einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten können.