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Mehr Züge auf die Schiene: eine Analyse von Herausforderungen und Verbesserungspotenzialen europäischer Netzkapazitätsplanung

Die Steigerung des Eisenbahnverkehrs ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor. Bis 2050 plant die EU eine Verdopplung des Güter- und eine Verdreifachung des Passagierverkehrs im Hochgeschwindigkeitsbereich (verglichen mit 2015). civity hat im Auftrag von Network Rail ein umfassendes Benchmarking durchgeführt und darin die Ansätze zur Kapazitäts- und Fahrplanung von acht westeuropäischen Eisen-bahninfrastrukturunternehmen (EIU) erhoben, analysiert und miteinander verglichen.

Der „Deutschlandtakt“ soll helfen, das deutsche Ziel einer Verdopplung des Passagierverkehrs auf der Schiene bis 2030 (verglichen mit 2019) zu erreichen. Durch dichtere Takte sollen die wichtigsten Fernverkehrsachsen im halbstündlichen Rhythmus miteinander verbunden werden. Dies beinhaltet auch eine Umkehr traditioneller Planungsgrundsätze: wurde bisher der Fahrplan auf Basis des vorhandenen Netzes geplant, legt nun die Trassennachfrage die Leitplanken für die Netzplanung. Neben einem konsequenten Netzausbau wird es für die Erreichung der ambitionierten Steigerungsziele vor allem darauf ankommen, die Nutzung der bestehenden Netzkapazitäten zu optimieren.

In diesem Zusammenhang hat civity im Auftrag von Network Rail ein umfassendes Benchmarking durchgeführt und darin die Ansätze zur Kapazitäts- und Fahrplanung von acht westeuropäischen EIU erhoben, analysiert und miteinander verglichen.

Es zeigte sich, dass die EIU vor derselben grundlegenden Herausforderung stehen: Planung, Entscheidungsfindung und Priorisierung verschiedener Kapazitätsbedarfe (Passagier- und Güterverkehr sowie Gleisarbeiten) sind an vielen Stellen äußerst ineffizient und unzuverlässig. Dies führt zu komplexen Prozessen, dem Verlust wertvoller Netzkapazitäten und erhöhten Kosten.

Im Zentrum der genauen Analyse stehen die Planungsprozesse an der Schnittstelle zwischen Fahr- und Netzplanung, an der die unterschiedlichen Ansprüche an die Netzkapazität priorisiert und entschieden werden. Diese Priorisierung wird bei vielen der untersuchten EIU auf der Basis von qualitativen und erfahrungsbasierten Kriterien vorgenommen. Es fehlt an quantifizierten Kosten-Nutzen-Abwägungen für verschiedene Szenarien und deren Auswirkungen. In der Entwicklung und Umsetzung solcher Modelle liegt jedoch großes Potenzial, um die Entscheidungsfindung zu rationalisieren.

Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass heute die unterschiedlichen Marktbedürfnisse von Passagier- und Güterverkehren zu wenig differenziert werden, was im Ergebnis zu ungünstigen Verhältnissen für beide Bereiche führt. In einer europaweiten Initiative wird dazu aktuell an einem neuen Planungskonzept gearbeitet, das neben differenzierten Fahrplanverfahren für Passagier- und Güterverkehr auch einen langfristigeren Planungshorizont und eine Harmonisierung der Prozesse innerhalb Europas vorsieht.

Bei vielen der von uns untersuchten EIU stellen unzureichende digitale Planungssysteme eine weitere Herausforderung dar. Durch historisch gewachsene Systemlandschaften fehlt es an einheitlichen Datenstrukturen, abgestimmten und automatisierten Schnittstellen und modernen Funktionen wie z. B. einer automatischen Erkennung von Konflikten in der Kapazitätsnutzung. Nahezu alle EIU arbeiten aktuell an der Einführung neuer oder der Weiterentwicklung bestehender Systeme. Oberste Priorität sollte dabei die Schaffung konsistenter Gesamtsysteme haben, in denen die Netzdaten über alle Planungs- und Betriebssysteme hinweg zur Verfügung stehen.

Da die EIU vergleichsweise viele ältere Mitarbeitende haben, fällt die Anpassung auf neue, moderne und digitale Arbeitsformen und Planungsverfahren schwer. Deshalb bedarf es bei der Einführung oder Anpassung von digitalen Systemen eines aktiven Veränderungsmanagements, um die erfolgreiche Umsetzung sicherzustellen. Eine weitere organisatorische Herausforderung vieler EIU ist, dass ein Großteil des Planungswissens implizit in den Köpfen der Mitarbeitenden gespeichert ist. Insbesondere vor dem Hintergrund möglicher großer Pensionierungswellen ist es daher besonders wichtig, dieses Wissen in digitalen Systemen zu dokumentieren.

Auf Basis dieser und weiterer Erkenntnisse konnte civity für Network Rail Good Practices identifizieren und konkrete Handlungsempfehlungen zur Verbesserung von Prozessen, digitalen Systemen und organisatorischen Rahmenbedingungen ableiten. Diese haben das Potenzial, den Eisenbahnverkehr noch attraktiver, sicherer und leistungsfähiger zu gestalten. Denn nur so kann er seiner wichtigen Rolle in der Klimapolitik gerecht werden und sein zentrales Ziel erreichen, mehr Züge auf die Schiene zu bringen.