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Zeitenwende im Busverkehr – Ein Zwischenfazit

civity und EY Law haben in drei Veranstaltungen in Hannover, Stuttgart und Ingolstadt die „Zeitenwende im Busverkehr“ näher beleuchtet. Mit insgesamt mehr als 100 Teilnehmenden aus Landkreisen, Verkehrsunternehmen und -verbünden sowie weiteren Branchenvertreter:innen wurden dabei Wendepunkte der Zeitenwende identifiziert und diskutiert. Unser Zwischenfazit: Der ÖPNV steht insbesondere in ländlich und vom Schülerverkehr geprägten Regionen unter Druck. Seine Zukunftsfähigkeit hängt dabei wesentlich von der Gestaltung des Marktmodells durch Aufgabenträger ab.

ÖPNV vor Zeitenwende

Das durch Krisen geprägte Jahr 2022 hat verdeutlicht, vor welch vielfältigen Herausforderungen der ÖPNV und seine Akteure stehen:

Akute Gefährdung des Bestandsgeschäfts
Der ÖPNV steht sowohl auf der Kosten- als auch auf der Einnahmenseite unter akutem Handlungsdruck. Kostensteigerungen in den letzten Jahren sind neben den allgemeinen krisenbedingten Preisentwicklungen insbesondere auf die Themenblöcke „Fahrermangel und Lohnkosten“ sowie „Elektromobilität“ zurückzuführen. Der Fachkräftemangel hat zu einer angespannten Arbeitsmarktsituation geführt, in deren Folge es in verschiedenen Regionen sogar bereits zu einer Einschränkung des Fahrplangebots kam. Die aktuellen Tarifabschlüsse führen darüber hinaus zu deutlich gestiegenen Personalkosten in den Unternehmen.

Die Clean Vehicles Directive und das „Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz“ haben die im ÖPNV bereits vor Jahren begonnene Antriebswende nun verbindlich verankert. Trotz geschaffener Anreize in Form von Förderungen führte die saubere Antriebstechnologie insgesamt doch zu erhöhten Kosten bei den Verkehrsunternehmen: Investitionen in Fahrzeuge und die erforderliche Infrastruktur erhöhten kurzfristig insbesondere die Kapitalkosten.

Einnahmenseitig liegen die Fahrgastzahlen vielerorts weiterhin unter dem Vor-Corona-Niveau. Neben der Anzahl der Fahrgäste spielen zunehmend Tarifrabattierungen (9 €- und Deutschlandticket) eine Rolle bzw. bilden aktuell eine Unbekannte für die Planbarkeit des Erlösniveaus.

Erhöhte Komplexität des Bestandsgeschäfts
Die nunmehr zunehmende Elektrifizierung erhöht die Komplexität im operativen Bereich. Neben Fahrzeugspezifika wird nun auch die eigenständige (Lade-)Infrastruktur Teil des Busbetriebs. Zudem steigt die Bedeutung der Konnektivität: Fahrzeuge werden Teil des „Internets der Dinge“, und mit steigenden technologischen Möglichkeiten erhöht sich die Echtzeit-Beeinflussbarkeit der Verkehre.

Gestaltungsanspruch der Politik
Eine herausgehobene Rolle kommt dem gestiegenen Gestaltungsanspruch der Politik zu, gerade im strategischen Blick auf die kommenden Jahrzehnte. Die Umsetzung der Verkehrswende – ausgedrückt im Ziel einer Verdopplung der Fahrgastzahlen – erfordert einen erheblichen Angebotsausbau. Bei der Gestaltung des Angebots, der Bestellung der Verkehrsleistungen und deren Überwachung sind die Aufgabenträger gefordert.

In Summe zeigen sich vielschichtige Wendepunkte, die jeder auf seine Art die Zeitenwende determinieren. Vor besonderen Herausforderungen stehen die Aufgabenträger als Besteller und Finanziers des straßengebundenen ÖPNV. Insbesondere in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen zeigen sich hierbei Herausforderungen aufgrund der eigenwirtschaftlich geprägten ÖPNV-Landschaft.

Individuelle Marktmodelle

Die skizzierten Herausforderungen der Zeitenwende erfordern von den Aufgabenträgern neben der Schaffung der inhaltlichen Voraussetzungen vor allem eines: Die Schaffung eines zukunftsfähigen Marktmodells, das die Gefährdung des Bestandsgeschäfts bewältigt, die erhöhte Komplexität des ÖPNV beherrscht und so die Verkehrswende ermöglicht.

Hierbei stellt sich die Frage nach zwei grundsätzlichen Dimensionen der Gestaltung: Die Erbringung als eigenwirtschaftliche oder gemeinwirtschaftliche Leistung und die Erbringung der Verkehre durch ein kommunales oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Anhand dieser Ausprägungen sind wiederum verschiedene (Vergabe-)Modelle denkbar: Inhouse-Konstellationen, wettbewerbliche Ausschreibungen und die Eigenwirtschaftlichkeit im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift.

Den Aufgabenträgern stehen diese Optionen bzw. Kombinationen daraus zur Verfügung, um die Zeitenwende erfolgreich und individuell passend zu gestalten. Die Individualität ist hierbei hervorzuheben: Eine pauschale „beste Lösung“ ist weder aus Aufgabenträger- noch aus Verkehrsunternehmenssicht identifizierbar. Vielmehr geht es darum, in den Landkreisen und kreisfreien Städten das individuell passende und realisierbare Marktmodell zu kreieren oder weiterzuentwickeln.

In der aktiven Diskussion mit den Teilnehmenden der Veranstaltungen zeigten sich naturgemäß akteursspezifische Präferenzen. Einen breiten Konsens gab es jedoch dahingehend, dass auch aktiv über Weiterentwicklungen der bestehenden Instrumente nachzudenken ist, z. B. über die Entwicklung funktionaler Ausschreibungen. Eine Fokussierung konnte dahingehend festgestellt werden, dass es in Zukunft darum gehen wird, die vorhandenen Stärken der Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger zu wahren und zugleich die jeweiligen Marktmodelle weiterzuentwickeln.

Stimmungsbild in Arbeit

Während der Veranstaltungen haben civity und EY Law per Umfrage ein Stimmungsbild der Teilnehmenden zu den treibenden Faktoren und Voraussetzungen eines zukunftsfähigen ÖPNV-Modells erstellt. Die Ergebnisse werden wir in einer eigenen Darstellung präsentieren.